Ratsvorsitzender appellierte an alle alternativen Gruppen

Von dem fast dreistündigen Dialog am Sonnabend im Karl-Marx-Haus

Aus Platzgründen ist es uns heute erst möglich, einen kleinen Einblick zu vermitteln von dem Dialog am Sonnabend im Karl-Marx-Haus mit den Vertretern der Parteien sowie der evangelischen Kirche zu Fragen der Gesellschaftsstrategie. Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Gerhard Kießling unterstrich sowohl bei seinen einleitenden Worten als auch im Verlauf der Aussprache, daß es die Partei ernst meine mit der Erneuerung des Sozialismus.
Hier schloß sich eine interessante und vielfältige Diskussion an, daß in dem fast dreistündigen Gespräch der Eindruck entstand, daß uns viel mehr verbindet als trennt.

Superintendent Heinrich Behr forderte, den Meinungsstreit öffentlich auszutragen, und unterstrich dabei, daß nicht, wie Egon Krenz sagte, die Parteiführung der SED, sondern das Volk die Wende eingeleitet hat.
Die Frage von Frau Rosemarie Behr, was die befreundeten Parteien zur führenden Rolle der SED sagen, beantworteten Michael Czupalla (CDU) und Helmut Pfordte (DBD) ganz eindeutig:

"Aus der Größe der Arbeiterklasse erwachse die Führungsrolle."
Dr. Schlott (LDPD) sagte: "Der Worte sind nun viel gewechselt, laßt uns nun endlich Taten sehen!"
Herr Krüger aus der Bitterfelder Straße schilderte den unverständlich langen Weg seiner Eingabenbearbeitung, die noch nicht abgeschlossen ist. Er fragte den Ratsvorsitzenden, wo hier die Verantwortung bleibe. Auch Herr Wiesner war sehr aufgebracht zu der Eingabe über das Eigenheim Vetter. Herr Sommer aus Delitzsch-West äußerte sich ebenfalls über fehlendes Vertrauen zum Staat. Zwei Offiziere der NVA legten ihren Standpunkt dar: "Wir möchten keine andere Gesellschaft haben. Aber es kommt darauf an, sie besser zu machen." Frau Schulz verlangte: "Wir müssen analysieren, warum so viele Menschen uns den Rücken kehren." Ingenieur Flor (SED) sagte, daß in seiner Partei administrative Eingriffe unterbleiben sollten. Und Genosse Hinrichs forderte, daß jetzt von allen Genossen der Kampf geführt werde, um bei der Bevölkerung das Vertrauen für die Wende zu erhalten.

Wir können an dieser Stelle nicht alle Namen und Äußerungen bringen (wieder Platzgründe). Aber soviel: Der Ratsvorsitzende forderte zur Mitarbeit auf. An alle alternativen Gruppen, auch an die Anhänger des Neuen Forums, richtete er seinen Appell und informierte über erste Maßnahmen des Rates des Kreises, die LVZ gestern an dieser Stelle veröffentlichte.

LVZ, 08.11.1989