"Keine Rücksicht mehr auf Halle nehmen"

Abfallverbandsvorsitzender Holger Tschense enttäuscht von Saale-Stadt, die eigene Müllverbrennungsanlage bauen will

Die Hoffnungen Leipzigs, mit Halle gemeinsam ab dem Jahr 2005 die Müllentsorgung zu betreiben und die Deponie Cröbern besser auszulasten, haben sich nicht erfüllt. 44 von 55 halleschen Stadträten stimmten jetzt dem Bau einer eigenen Müllverbrennungsanlage in Lochau zu. Auch der Kreis Delitzsch will eine solche Anlage errichten.

Nach Ansicht der Befürworter ist für Halle der Ofen die kostengünstigste und ökologisch sinnvollste Variante zur Entsorgung. Gegner wie der grüne Stadtrat Matthias Weiland warnten vor hohen Gebühren, die wegen ungenügender Auslastung entstehen könnten. Der Bau des Verbrennungsofen soll aber erst beginnen, wenn klar ist, dass auch der Saalkreis und der Landkreis Merseburg-Querfurt ihren Müll in Lochau entsorgen. Die Stadt Halle allein könnte die Anlage mit einer Jahreskapazität von 100.000 Tonnen nur zur Hälfte auslasten. 180 Mark pro Tonne Behandlungskosten dürfen in der Anlage nicht überschritten werden, lautet der Stadtratsbeschluss.
Leipzigs Bürgermeister und Abfallzweckverbandschef Holger Tschense glaubt nicht an diese geringe Summe. "Ich bin sehr gespannt, wie hoch sie nach der Ausschreibung wirklich angesetzt wird", erklärte er gestern. Vergleichbare Anlagen kämen alle auf mehr als 200 Mark pro Tonne, heißt es seit längerem im Verband.
Tschense hatte Halle - wie berichtet - einen mitteldeutschen Weg angeboten: Die Saale-Stadt und die umgebenden Kreise hätten danach ihren Abfall in Lochau gesammelt, vor Ort in einer mechanisch-biologischen Anlage (MBA) aufbereitet und den Rest zur Deponie Cröbern geschafft. Dort wir der Verband seine eigene MBA errichten, mit den Hallenser Mengen wäre jedoch die Deponie Cröbern deutlich besser ausgelastet gewesen. Als Solidarpreis errechnete Tschense 191,50 Mark pro Tonne.
"Rund zehn Mark teurer pro Tonne wird es nun ohne Halle werden", erklärte Tschense gestern nach der Absage. "Eine vertane Chance. Der gemeinsame Weg hätten allen Vorteile verschafft." In Halle hatte die Gewerkschaft ver.di mit den örtlichen Stadtwerken Druck auf den Stadtrat ausgeübt, auf den Erhalt von Arbeitsplätzen in Lochau gedrängt.
"Ich denke, es gibt in Halle eine Menge Vorbehalte gegen die Region Leipzig", so Tschense. Nicht zuletzt spiele die Entscheidung von BMW eine Rolle. Dennoch werde viel vom mitteldeutschen Weg gesprochen. "Aber es ist schlecht, wenn er dann bei konkreten Projekten nicht wahrgenommen wird." Weil sowohl die Saale-Stadt als auch Delitzsch größer als für den eigenen Bedarf bauen wollen, sieht er den regionalen Müllmarkt demnächst heiß umkämpft. Der Verband müsse in alle Richtungen werben. Tschense: "Wir werden keine Rücksicht mehr auf Halle nehmen."

M. Willing/J. terVehn

LVZ, 12.12.2001