Müllverbrennung gleitet in "skurrilen Rechtsstreit" ab

Stadträte gehen gegen Landverkauf für MVA vor

Delitzsch. Den 200 Delitzschern, die am Donnerstag Nachmittag vor dem Rathaus gegen die geplante Müllverbrennungsanlage (MVA) in Delitzsch-Südwest protestieren, kriecht langsam die Kälte unter die Haut. Einige, wie der Zschepener Landwirt Dietmar Mieth, harren zum Teil schon seit einer Stunde aus, in der Hoffnung, an der für 16 Uhr angesetzten Sondersitzung des Stadtrates teilnehmen zu können. Doch Oberbürgermeister Heinz Bieniek (CDU) weiß zu dem Zeitpunkt längst, dass er ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen wird.

Wir wurden behandelt wie die dummen Jungs
PDS-Stadtrat Schmidt (M.) nach der Ratssitzung im Disput mit der Rechtsdezernentin des Landratsamtes, Stoye: "Wir wurden behandelt wie die dummen Jungs."

Die Sitzung, in der es um den Verkauf jenes kommunalen Grundstücks gehen sollte, auf dem eine 80.000-Tonnen-Müllverbrennungsanlage geplant ist, findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So hat der OBM sie entgegen des Antrages der Fraktionen von SPD, PDS und Freien Wählern einberufen. Diese beharren gleich nach Eröffnung der Versammlung allerdings darauf, vor den Augen der Öffentlichkeit zu beraten. Ein gemeinsamer Antrag wird gegen die Stimmen der CDU auch angenommen. Die Türen zum Sitzungssaal öffnen sich gegen 16.15 Uhr. Irritiert und emotional bewegt, tritt Reinhard Zänker heraus: "Der Oberbürgermeister hat die Sitzung einfach wieder geschlossen", ringt der SPD-Stadtrat sichtlich nach Worten.
Ihm sei gar keine andere Wahl geblieben, verkündet kurz darauf OBM Bieniek. Laut Gesetz müsse er zu der öffentlichen Sitzung nun neu laden, frühestens am l. März könnte die Tagung dann stattfinden.
Für solche "taktischen Spielchen" hat Dietmar Schmidt indessen kein Verständnis mehr. "Wir wurden behandelt wie die dummen Jungs", grollt der PDS-Stadtrat. Seine Wut hat noch einen ganz anderen Grund: Der strittige Vertrag über den Verkauf des kommunalen Grundstücks an die Kreiswerke, die den Bau der MVA im Auftrag des Kreistages planen, war nur wenige Stunden zuvor von einem Notar beurkundet worden. Dass es dafür überhaupt einen rechtskräftigen Beschluss des Zweckverbandes Industrie- und Gewerbegebiet Delitzsch-Südwest gibt, das bestreiten SPD, PDS und Freie Wähler, darüber wollten sie auf der Stadtratssitzung eine öffentliche Aussprache führen.
Die Verbandsversammlung, in der Abgeordnete der Stadt Delitzsch und der Nachbargemeinde Neukyhna sitzen, hatte am 17. Dezember keine wie in der Satzung vorgesehene einheitliche Stimmabgabe zu dem Grundstücksgeschäft mit den Kreiswerken erreicht. Daraufhin wurde die Sache in den Delitzscher Stadtrat verwiesen, in dem sich inzwischen aber keine Mehrheiten mehr für den Grundstücksverkauf fanden. Indessen haben allerdings sowohl das Landratsamt Delitzsch als auch das Leipziger Regierungspräsidium die nicht einheitliche Abstimmung im Zweckverband als zustimmenden Beschluss anerkannt. "Dagegen werden wir Widerspruch einlegen", kündigte Schmidt nach der Stadtratssitzung während einer gemeinsamen Beratung der Fraktionen von SPD, PDS und Freien Wähler an. Außerdem fordern sie die Einberufung eines Sonderausschusses, der den strittigen Grundstücksverkauf untersuchen soll. "Der gesamte Werdegang, alle Protokolle zur Kaufoption müssen durchforstet werden", erläuterte Wolf-Dietrich Koch von der Freien Wählergemeinschaft den Zweck des Ausschusses. "Wir wollen wissen", sagte er, "warum ein Verbandsrat zwar eine Einladung zur Verbandsversammlung, aber keine Unterlagen zu der Beschlussvorlage bekommen hat und warum der Oberbürgermeister nicht an der Sitzung teilgenommen hatte."
Mit den Ängsten vor den ökologischen und wirtschaftlichen Folgen der Müllverbrennung, die der Zschepener Landwirt Dietmar Mieth während der Kundgebung vor dem Rathaus artikulierte, das gibt auch Stadtrat Koch zu, hat die jetzt begonnene Paragrafen-Reiterei freilich nichts mehr zu tun. "Unsere Felder und unsere künftigen Landschaftsschutz- und Naherholungsgebiete dürfen keine Abregnungsfläche für die Rauchgase der Müllverbrennungsanlage werden", hatte Mieth erklärt. Und nicht zuletzt warnte er auch vor Verbrennungsüberkapazitäten in Sachsen, die dem Müllgebührenzahler in einigen Jahren schwer auf die Füße fallen könnten. "Hier und nicht bei diesem skurrilen Rechtsstreit um den Grundstückskauf", meint auch der PDS-Landtagsabgeordete und Delitzscher Kreisrat Michael Friedrich, "sollten endlich die Alarmglocken läuten."

Klaus Staeubert

Rosenstadt mit Gasmaske
Erklärter Müllverbrennungsgegner: SPD-Stadtrat Reinhard Zänker. Er hatte als einziger im Zweckverband Delitzsch-Südwest gegen den Verkauf des Grundstücks für die Müllverbrennungsanlage gestimmt.
Fotos: Manfred Lüttich


LVZ vom m16.02.2002