Strafanzeige gegen Kreiswerke

Delitzsch (dom). Mit der Kakerlaken-Plage rund um das ehemalige Delitzscher Ziehwerk wird sich jetzt die Staatsanwaltschaft Leipzig beschäftigen müssen. Der Bürgerverein Sauberes Delitzscher Land hat Strafanzeige gegen Heinz Böhmer, den Geschäftsführer der Kreiswerke Delitzsch (KWD), gestellt. Die Initiative wirft den KWD vor, mit der Zwischenlagerung von brennbaren Abfällen in einer Halle der Industriebrache – so genannte heizwertreichen Fraktionen – Leib und Leben der Anwohner zu gefährden. Neben den gesundheitlichen Risiken, die die Invasion tausender Schaben in Gärten und Häusern nahe dem Ziehwerk birgt, hält der Verein auch den Brandschutz für ein „exorbitantes Gefahrenpotenzial.

Leipziger Volkszeitung, 29.06.2006, Titelseite


Kakerlaken-Plage: Anzeige erstattet

Umweltgruppe prangert auch Brandschutz in alter Ziehwerk-Halle an / Kreiswerke wehren sich: „Halten Auflagen ein

Von FRANK PFÜTZE und DOMINIC WELTERS
Ausbeute von gestern: Diese toten Kakerlaken stammen aus der Gartenlaube der Familie Lippert aus der Döbernitzer RTS-Straße. Die Insekten hatten sich aus der ehemaligen Fabrikationshalle des Ziehwerks davongemacht und auf Wanderschaft zu den Nachbarn begeben.

Fotos: Manfred Lüttich
Die alte Ziehwerk-Halle: Hier lagern die Kreiswerke Delitzsch hunderte Tonnen brennbarer Abfälle, so genannte heizwertreiche Fraktionen.

Delitzsch. Sie seien schon sehr bemüht, die Mitarbeiter der Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung. Die Arbeit der von den Kreiswerken Delitzsch (KWD) beauftragten Eilenburger Firma, die seit Ende voriger Woche gegen tausende Kakerlaken aus einer Halle des alten Ziehwerks zu Felde zieht, zeige auch erste Wirkung, sagt Gabriele Lippert. „Doch ob ich in diesem Sommer meine Küche in unserer Gartenlaube noch mal benutzen werde, das kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Es ekelt mich richtig.“ Gerade erst fand die 58-Jährige zwei leblose Exemplare der auf menschlische Vorräte spezialisierten Insekten im Wasserkocher, und auch gestern war wieder ein Dutzend toter Schaben mit der Kehrschaufel zusammenzuraffen. Wenigstens in der Wohnung, die ebenso wie die geliebte Scholle in Sichtweite des einstigen Großbetriebes liegt, seien zuletzt kaum noch Tierchen herumgekrabbelt, erzählt die Bewohnerin eines Vierfamilienhauses in der RTS-Straße. Die Eilenburger Kakerlaken-Jäger hätten Köder ausgelegt, die Keller des Hauses und die dazu gehörigen Fenster von außen gründlich abgespritzt. „Wie gesagt, man bemüht sich.

Nichtsdestotrotz hat sich die Döbernitzerin Lippert entschlossen, zusammen mit ihrem Verwandten Dietmar Mieth vom Bürgerverein Sauberes Delitzscher Land und dem Fachberater der Umweltgruppe, Sieghard Weck, gegen KWD-Geschäftsführer Heinz Böhmer Strafanzeige zu stellen – „wegen der unhaltbaren Zustände bei der Zwischenlagerung von brennbaren Abfällen (heizwertreiche Fraktionen), die zu massiven Gefährdungen der Umwelt, der Gesundheit sowie der Sicherheit der anwohnenden Bürger geführt haben und auch weiterhin führen müssen“.

Gestern ging das dreiseitige Schreiben auf dem Postweg an die Staatsanwaltschaft Leipzig. In ihm stellen die Beschwerdeführer fest, dass die 4000 bis 4500 Tonnen Material aus der Ziehwerk-Halle, das die Kreiswerke in Delitzsch-Südwest zu Ersatzbrennstoff für die Zementindustrie verarbeiten, „seit etwa April 2006 eine höchstproblematische Eigendynamik verursacht“ – womit Mieth & Co. auf das Kakerlaken-Problem anspielen, das „Gefahrenpotenziale in sich birgt; zum Beispiel Infektionsrisiken, Auslösung von Allergien, hohe psychische Belastungen“. Schlussfolgerung der Initiative: „Die Ursache der Kakerlakenvermehrung muss fachkundig beseitigt werden, die zwischengelagerten Abfälle müssen möglichst schnell und komplett aus dem Ziehwerk entfernt und schadlos entsorgt werden.

Noch mehr als die Schädlingsplage setzt den Umweltaktivisten die laut Berater und Chemiker Weck „exorbitante Brandgefahr“ zu. Diese wird der Staatsanwaltschaft wissenschaftlich fundiert dargelegt: „Die Abfälle, von den KWD verharmlosend als Mischkunststoffe bezeichnet, stammen aus der biologischen Behandlung von Siedlungsabfällen und sind durch biochemische Reaktionen bereits maßgeblich beeinflusst“, heißt es unter anderem. „Durch autokatalytische Reaktionsprozesse an der äußeren Oberfläche sowie im Inneren der Abfallhaufen werden zusätzliche Zersetzungsprozesse initiiert, in deren Folge sich leicht entzündliche und zumeist auch toxikologisch bedenkliche Zersetzungsprozesse bilden. Diese niedermolekularen Produkte mit niedrigem Flammpunkt können unter Nutzung von Luftsauerstoff mittels Selbstentzündung die erforderlichen Aktivierungsenergien aufbringen, um weitere Kettenreaktionen zu generieren, in deren Folge sich lokale Brandherde bilden, die sich zum Großbrand entwickeln können.“ Auch daraus ergebe sich die einzig denkbare Forderung: „Die heizwertreichen Fraktionen müssen sofort aus dem Ziehwerk entfernt werden“, so Weck.

Kreiswerkechef Böhmer verwundert die Anzeige. „Die Halle ist so eingerichtet, wie es die Vorschriften vorsehen. Ansonsten dürften wir dort gar nichts lagern. Es gibt konkrete Auflagen, etwa wie die Haufen gelegt und welche Abstände eingehalten werden müssen. Die halten wir ein, das hat das Regierungspräsidium überprüft“, sagte er auf Anfrage der Kreiszeitung. Die KWD hätten zudem einen eigenen Kontrollmechanismus. Regelmäßige erfolgten Absprachen mit Feuerwehr und Landratsamt (Lesen Sie dazu auch den Beitrag „Es ist alles okay“). „Außerdem sind Brandschutzmelder im gesamten Bereich installiert und ans Warnsystem angeschlossen. In der Halle führen wir zudem regelmäßig Temperatur-Kontrollen durch. Mehr geht nicht“, betonte Böhmer.

Auch Angelika Stoye aus dem Delitzscher Landratsamt hält die Aufregung für um die Zwischenlagerung der heizwertreichen Fraktionen im alten Ziehwerk für übertrieben. „Gerade jetzt, da es sehr warm ist, werden die Temperaturen in der Halle und im Material selbst genau geprüft. Sie liegen momentan unter den kritischen Grenzen“, sagte die Rechtsdezernentin.

Während Gabriele Lippert und andere Bewohner der RTS-Straße befürchten, dass die schier omnipräsenten Schädlinge ihnen noch die letzte Lust am Sommer 2006 nehmen, haben die Kreiswerke unterdessen ein weiteres Spezialunternehmen eingeschaltet. Auch das soll dafür sorgen, dass Döbernitz alsbald vom großen Krabbeln erlöst ist. Gestern und vorgestern waren Arbeiter damit beschäftigt, beschädigte Stellen am Dach der mehr als 200 Meter langen Halle zu versiegeln und sämtliche Ritze abzudichten. „Das sind vorbereitende Maßnahmen für eine Vernebelung“, erläuterte Kreiswerke-Chef Böhmer. Nachdem zunächst mit chemischen Barrieren im Lager und außerhalb der alten Produktionsstätte das weitere Ausbrechen der Tiere verhindert werden sollte (wir berichteten), wollen die KWD den Kakerlaken jetzt im Inneren den Garaus machen. Hierfür wurde ein Unternehmen aus Magdeburg verpflichtet. Das Spritz- und Vernebelungsverfahren werde am heutigen Donnerstag realisiert, teilte Böhmer mit.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 29.06.06, Seite 5



STANDPUNKT


Tiefer Graben

Von FRANK PFÜTZE

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Zweifellos genießt ein Bürgerverein mehr Vertrauen als beispielsweise ein Unternehmen wie die Kreiswerke, wenn es darum geht, Lagerhallen zu kontrollieren. Oder anders gesagt: Es ist gut, dass Dietmar Mieth & Co. über den Tellerrand schauen, Verantwortung für Umwelt und Mitmenschen übernehmen. Wenn Kakerlaken die Nachbarschaft plagen, erfahren auch wir als Journalisten sehr schnell davon, dass die Initiative Sauberes Delitzscher Land in ein Wespennest gestochen hat. Der interessante Lesestoff ist dabei die eine Seite. Die Lösung vermeintlicher Skandale und Probleme die andere. Der Verein arbeitet sehr akribisch mit hohem Zeitaufwand und beschreibt viel Papier. Wissenschaftlich untersetzt und meist von einem Anwalt verfasst. Soll er auch, obwohl der neutrale Beobachter inzwischen immer häufiger den Eindruck gewinnt, dass längst auch persönliche Rachefeldzüge in Bewegung gesetzt wurden. Der Vorwurf eines steigenden Brandrisikos beispielsweise nährt diesen Verdacht. Natürlich ermöglichen Hitze und Druck chemische Reaktionen, die auch zu Bränden führen können. Das war früher im Tagebau so, das ist heute im Wald und auch in der Lagerhalle der KWD so. Das Brandrisiko ist Bestandteil der Strafanzeige. Die Kontrollmechanismen hat der Verein nicht erfragt. Das Landratsamt überzeugt mit einem lückenlosen Nachweis seines Brandschutzes. Der Widerspruch und die nicht existierende Kommunikation zwischen Verein und Behörde zeigen, wie tief der Graben inzwischen ist. Hier ist vor allem Aufeinanderzugehen gefragt. Das wäre doch mal eine nette Geschichte, wenn sich beide Seiten akzeptieren und zukünftig miteinander arbeiten würden.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 29.06.06, Seite 5


Es ist alles okay

Delitzsch (dom). Der Zufall wollte es, dass justament, als der Bürgerverein Sauberes Delitzscher Land über seiner Strafanzeige brütete, im Ziehwerk eine so genannte Brandschutzbegehung stattfand. Einer der vier Herren, der am Dienstag an dem „routinemäßigen Termin“ teilnahm, war Hilmar Lerche. Der Sachbearbeiter Brandschutz im Kreis-Ordnungsamt, obendrein ehrenamtlicher Kreisbrandmeister und schon deshalb ausgewiesener Fachmann, zog ein unmissverständliches Fazit: „Aus brandschutztechnischer Sicht kann ich nur sagen: In der Halle ist alles okay.“ Die vorgegebenen Lagerguthöhen von fünf Meter sowie die vorgeschriebene Fläche für Blocklagerung von 400 Quadratmeter seien eingehalten, der Sicherheitsabstand zwischen den Blöcken werde eingehalten und das Objekt sei durch die Brandmeldeanlage, die auf Rauch reagiert, ständig überwacht. „Ich selber habe die Temperatur der Abfälle überprüft. In den Ballen herrschten 33,6 Grad Celsius.“ Der kritische Bereich liege bei 70 Grad Celsius, dann müsse eine Beräumung der Halle unter Aufsicht der Feuerwehr erfolgen, so Lerche.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 29.06.06, Seite 5


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