Korruptionsaffäre: Druck wächst

Sächsische Politiker fordern nach LVZ-Bericht Aufklärung / Staatsanwaltschaft soll Akten erhalten

D r e s d e n (J.K.). Die Korruptionsaffäre in Sachsen zieht weitere Kreise. Nach dem LVZ-Bericht von Sonnabend machten Politiker nahezu aller Parteien Druck, die brisanten Ermittlungsergebnisse des Verfassungsschutzes zur Organisierten Kriminalität (OK) zu erhalten.

Nach Informationen der Leipziger Volkszeitung will die Staatsregierung die Akten der Staatsanwaltschaft übergeben. Es gehe nur noch um ein rechtlich sauberes Verfahren, hieß es gestern aus Regierungskreisen.

Bereits morgen trifft sich die geheime Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) zur Sondersitzung in Dresden. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) machte sich gestern für eine Verwertung des OK-Materials stark. „Wir haben keinerlei Anlass, etwas zu vertuschen“, sagte er auf Anfrage. Er sei von Anfang an der Ansicht gewesen, dass der Verfassungsschutz die Daten zu Recht ermittelt habe. Auch die SPD setzte auf Offenheit. „Die SPD-Fraktion verlangt volle Aufklärung über den gesamten Vorgang“, sagte Fraktionschef Cornelius Weiss. Dagegen forderte Sachsens oberster Datenschützer Andreas Schurig erneut die Vernichtung der Akten, da OK-Beobachtung durch den Verfassungsschutz seit Mitte 2005 rechtswidrig gewesen sei. Gleichzeitig plädierte auch er für Aufklärung. „Die Quellen des Verfassungsschutzes können sich jederzeit an die Staatsanwaltschaft wenden.

In die Korruptionsaffäre sollen hohe Justiz- und Polizeikreise verwickelt sein, der Schwerpunkt liegt in Leipzig. Darüber hinaus haben die Ermittler Hinweise auf kriminelle Netzwerke im Vogtland und in Chemnitz. Die Vorwürfe reichen von Korruption über Amtsmissbrauch und Verrat von Dienstgeheimnissen bis zu brisanten Kontakten ins Rotlichtmilieu. Dabei sind offensichtlich auch Politiker von SPD, CDU sowie ehemalige Grüne ins Visier der Ermittler geraten.

Die Linksfraktion hat bereits mit einem Untersuchungsausschuss gedroht. Gestern erneuerte Fraktionschef Peter Porsch diese Überlegung. Gleichzeitig sprach er sich für konsequente Strafverfolgung aus. „Die Akten über mafiöse Strukturen dürfen auf keinen Fall vernichtet werden“, sagte er. Auch nach Ansicht der Fraktionschefin der Grünen im Landtag, Antje Hermenau, „muss die Affäre rückhaltlos aufgeklärt werden“.

Leipziger Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, Tiltelseite, 14.05.2007


Akten müssen auf den Tisch

Generalstaatsanwalt lehnt Vernichtung der Unterlagen über kriminelle Netzwerke ab

Von JÜRGEN KOCHINKE

Datenschützer Schurig (M.) unter Druck: CDU-Innenminister Buttolo (l.) fordert wie SPD-Fraktionschef Weiss die Aktennutzung.
Fotos: André Kempner/Marian Günther

Dresden. Führende Sicherheitskräfte im Freistaat hatten gestern Wochenenddienst - außerplanmäßig. Nach Meldungen vom Sonnabend über ein kriminelles Netzwerk bis in hohe Justiz-, Polizei- und Politikkreise hinein (diese Zeitung berichtete) war Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) ebenso in sein Büro geeilt wie Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm. Was beide umtrieb, war dasselbe: Wie lässt sich die Affäre angemessen managen? Und vor allem: Was geschieht mit jenen 15.600 Blatt Papier zum Geflecht aus Organisierter Kriminalität (OK), Immobiliengeschäften und Kinderprostitution im Freistaat?

Geht es nach dem Willen von Sachsens oberstem Datenschützer Andreas Schurig, soll das brisante Material aus dem Panzerschrank des sächsischen Verfassungsschutzes weitgehend vernichtet werden. Dabei handelt es sich um Hinweise auf dubiose Immobiliendeals und Pädophile, auf Verbandelungen von Rotlicht, Sicherheitskräften und - vor allem - Justiz. Eben dies dürfte Schwalm noch einige Zeit umtreiben.

Doch nicht nur für den Generalstaatsanwalt sind die Ermittlungen heikel, betroffen sind auch Behörden in Leipzig. Nach Informationen dieser Zeitung haben die Ermittler des Verfassungsschutzes gerade in der Messestadt ein dichtes Netzwerk ausgemacht. „Abseits“ heißt dieses Themenfeld bei den Schlapphüten intern, das von Leipzig bis ins Vogtland reicht. Dabei gibt es in Leipzig Hinweise auf das dubiose Wirken eines leitenden Staatsanwalts und eines Richters. Längst haben die Verfassungsschützer ein umfassendes Dossier zum „Abseits“-Komplex erarbeitet, laut Insidermeinung „fast schon eine Anklageschrift“. Übergeben freilich wurde das Papier bisher nicht.

Umso klarer zeichnet sich mittlerweile die allgemeine Stoßrichtung der Politik in Sachsen ab. Regierungschef Georg Milbradt (CDU) höchstpersönlich habe sich dafür ausgesprochen, das brisante Material nicht zu vernichten, hieß es gestern aus CDU-Kreisen. Es solle vielmehr dorthin gehen, wo es hingehöre: in die Hände eines Staatsanwalts. Dieser allerdings dürfe nicht Teil des kriminellen Geflechts sein.

Hierfür plädierte Buttolo gestern mit Vehemenz, aber auch die meisten Spitzenvertreter der anderen Parteien. Die Tonlage war weitgehend dieselbe: Von „rückhaltlose Aufklärung“ (Antje Hermenau, Grüne) über „nichts unter den Teppich kehren“ (Cornelius Weiss, SPD) bis zu „keine Akten über mafiöse Strukturen vernichten“ (Peter Porsch, Linkspartei) lauteten die Stichworte. Und auch Schwalm äußerte sich schließlich. „Wir wollen ein sauberes Sachsen“, ließ er verkünden, „die Akten müssen endlich auf den Tisch des Staatsanwalts.

Neben Buttolo und Schwalm sprach sich auch ein Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission für einen klaren Kurs aus. „Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, die Erkenntnisse zu verwerten“, meinte Frank Kupfer (CDU). Und die beiden Leipziger Landtagsabgeordneten der Linkpartei, Volker Külow und Dietmar Pellmann, forderten Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) auf, unverzüglich zu handeln - und zum Beispiel einen Aktenuntersuchungsausschuss einzusetzen.

Ein wenig Rückendeckung für den gebeutelten Datenschützer gab es einzig von Seiten der FDP. „Das ist ein extrem problematisches Verfahren“, meinte Fraktionschef Holger Zastrow zur OK-Beobachtung durch die Schlapphüte, „man kann Recht nicht mal so und mal so auslegen.“ Schurig selbst trat den geregelten Rückzug an. Zwar hält er an seiner Position fest, dass die 15.600 Blatt Papier teilweise rechtswidrig erhoben wurden und deshalb geschreddert gehörten. Gleichzeitig sprach er sich aber erstmals öffentlich für Aufklärung aus. Die V-Leute des Verfassungsschutzes, so lautete sein Vorschlag, könnten sich doch intern outen und ihr Wissen der Staatsanwaltschaft übergeben. Neue brisante Details wurden gestern zum Netzwerk in der vogtländer Region bekannt. Nach Informationen dieser Zeitung sollen dort ein Richter sowie ein an zentraler Stelle platzierter Polizist ins Visier der Ermittler geraten sein. Und ähnlich wie in Leipzig ist auch der Verdacht: Geht es in der Messestadt um das Attentat auf den Immobilien-Manager Martin Klockzin sowie das Ex-Kinderbordell „Jasmin“, so steht rund um Plauen ein Luxusbordell im Zentrum - und die Verbindungen der Ermittler zum Rotlichtmilieu.

Leipziger Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, Seite 5, 14.05.2007


STANDPUNKT


Von Jürgen Kochinke

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Akuter Aufklärungsbedarf

Es gibt Meldungen, die sind kaum zu fassen. Wenn es stimmt, was in den Akten des Verfassungsschutzes steht, dann haben Justiz- und andere Beamte nicht nur krumme Deals gemacht. Sie sind vielmehr Teil eines kriminellen Netzwerks aus staatlichen Würdenträgern, Rotlichtmilieu und Immobilienhändlern. Das ist an sich schon übel genug. Zur potenziellen Staatskrise aber wird es, weil es die Grundwerte der Demokratie torpediert. Wenn Ermittler nicht mehr ermitteln, sondern vertuschen, ist der Rechtsstaat selbst in Gefahr.

Schon deshalb hilft jetzt nur gnadenlose Aufklärung. Das Geflecht aus Korruption und Amtsmissbrauch, wie es sich derzeit darstellt, muss zerschlagen werden - gegen die Einwände von Datenschützern. Denn auch wenn sich Sachsens Schlapphüte mit ihrer OK-Beobachtung ein knappes Jahr lang im juristischen Graufeld bewegten, zwei Jahre lang war ihr Handeln legal. Es ist also überhaupt nicht einzusehen, dass das gesamte Material in den Schredder wandert - vor allem nicht bei Erkenntnissen von solcher Brisanz. Und auch der Rest muss gerettet werden, denn hier geht es um ein Rechtsgut höherer Art: Es ist der Rechtsstaat selbst, der von mafiösen Strukturen untergraben wird. Wer da vertuscht, hat verloren.

@j.kochinke@lvz.de

Leipziger Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, Seite 05, 14. Mai 2007


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