Akten-Affäre: Vermerk belastet hohe Justizbeamte

Brisantes Material von Verfassungsschutz und Kriminalpolizei Leipzig / Heute Sondersitzung im sächsischen Landtag

Dresden. In der sächsischen Korruptions-Affäre um Verbindungen von Politikern und Landesbediensteten zum Organisierten Verbrechen gibt es neue Vorwürfe gegen führende Justizbeamte. So soll ein ehemaliger Oberstaatsanwalt von Leipzig bereits Mitte 2000 Bedenken gegenüber einem weiteren Oberstaatsanwalt sowie einem Richter geäußert haben. Dies geht aus einem internen Aktenvermerk der Polizeidirektion Leipzig hervor, der dieser Zeitung vorliegt. Demnach hat der Jurist einem Kriminalhauptkommissar gegenüber gesagt, es sei für ihn „sehr verwunderlich“, wie die beiden „in diesem Verfahren reagieren“.

Ähnliche Hinweise hat offenbar auch das Landesamt für Verfassungsschutz. So befindet sich nach Informationen dieser Zeitung im brisanten Material der Schlapphüte eine Passage, wonach eben dieser Jurist Kenntnisse von Verstößen desselben Oberstaatsanwalts gehabt hat. Der Aktenvermerk der Kriminalpolizeiinspektion Leipzig vom 11. September 2000 stammt vom Kommissariat 26. Dabei handelt es sich um jene Beamte, die sich mit der Organisierten Kriminalität (OK) im Raum Leipzig befassten und rund zwei Jahre später unter dubiosen Umständen aus dem Rennen genommen wurden. Unter anderem fand eine Razzia von 50 Beamten des Landeskriminalamts (LKA) bei den OK-Ermittlern statt. Bei dem Verfahren, auf das sich der Jurist laut Vermerk bezieht, handelt es sich um den Fall Martin Klockzin. Gegen den Leipziger Immobilienmanager war 1994 ein Attentat verübt worden, im Jahr 2000 liefen die Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Drahtzieher, zwei Immobilienmakler aus dem Allgäu.

Erklärungsbedürftig bis heute ist die Tatsache, dass beide Tatverdächtige faktisch freigesprochen wurden, während drei Kleinkriminelle zuvor zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren. Dabei ging es stets auch um mögliche Kontakte zum Kinderbordell „Jasmin“ in der Merseburger Straße.

Einen Tag vor der heutigen Sondersitzung des Landtags zur OK-Affäre verschärft sich damit die Lage. Mit Spannung wird erwartet, wie die Landesregierung, vor allem Justizminister Geert Mackenroth (CDU), auf den Antrag der Linksfraktion im Plenum reagieren wird. Im Raum steht dabei auch die Forderung nach Suspendierung von Beamten, die durch das interne Material der Verfassungsschützer belastet werden. Darüber hinaus dürfte bereits heute die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss auf der Tagesordnung stehen.

Jürgen Kochinke

Leipziger Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburg, Seite 5, 05.06.2007


Glatter Rechtsbruch

Chef der Parlamentarischen Kontrollkommission übt scharfe Kritik an Kanzleramtsminister de Maizière

Dresden. Die Korruptions-Affäre um Verwicklungen von Politikern, hohen Justiz- und Polizeibeamten in kriminelle Netzwerke hat zu einem politischen Schlagabtausch auch in Sachsens CDU geführt. Gestern erhob der Chef der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtags, Gottfried Teubner (CDU), schwere Vorwürfe gegen Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU). Der Bundesminister habe die Vorschriften „nicht für ganz voll genommen“, sagte Teubner dieser Zeitung, sein Handeln sei „glatter Rechtsbruch“.

Grund für die barsche Attacke des PKK-Chefs gegen den renommierten Parteifreund im Kabinett Merkel ist dessen frühere Rolle in Sachsen. De Maizière war bis Ende 2005 Innenminister im Freistaat und damit oberster Dienstherr des Landesamts für Verfassungsschutz. Nach Ansicht von Teubner war er damit laut Gesetz verpflichtet, die PKK über rechtsstaatlich bedeutsame Hinweise zur Organisierten Kriminalität (OK) zu informieren. „Dies ist nicht geschehen“, so Teubner.

Ähnlich hatte bereits Stefan Brangs, PKK-Mitglied mit SPD-Parteibuch, in der Plenardebatte zur OK am Dienstag im Landtag argumentiert. Gestern legten SPD-Mann Karl Nolle und Klaus Bartl (Linksfraktion) nach. Nolle warf de Maizière vor, er habe „vorsätzlichen Rechtsbruch begangen“. Bartl kündigte an, der Kanzleramtschef solle als Zeuge im geplanten Untersuchungsausschuss aussagen. De Maizière selbst hatte in einem MDR-Interview eingeräumt, in seiner Zeit in Sachsen von Vorwürfen zur Verstrickung von Politikern und Beamten mit der OK gewusst zu haben. Damals habe er entschieden, die staatsgefährdenden Komplexe weiter durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Das habe sich mittlerweile als angemessen herausgestellt.

Unterdessen gab es auch gestern im Landtag erhebliche Aufregung um die Rede von Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) vom Dienstag. Abgeordnete fast aller Fraktionen rieben sich verwundert die Augen wegen der dramatischen Worte des Ministers. Buttolo hatte gesagt, „die OK wird zurückschlagen“. All jene, die aufklären wollten, müssten damit rechnen, verleumdet und eingeschüchtert zu werden. Das hatte auch bundesweit für erhebliches Aufsehen gesorgt.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Tatsache, dass bereits ein Teil der brisanten Akten vernichtet worden ist. Das hatte die PKK mitgeteilt. Dabei soll es sich zwar um Kopien ohne Bedeutung für die aktuellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft handeln. Kopfschütteln gab es dennoch im Landtag. Darüber hinaus geht vor allem in der CDU die Sorge um, die Korruptions-Affäre könne die Landtagswahl 2009 verhageln. In böser Erinnerung ist der CDU dabei die hysterisch geführte Hartz-IV-Debatte im Sommer 2004. Trotz ursprünglicher guter Umfragewerte brach die Union in Sachsen in der Folge um Prozentpunkte im zweistelligen Bereich ein. Regierungschef Georg Milbradt (CDU) verlor die absolute Mehrheit und muss seitdem mit der SPD koalieren.

Jürgen Kochinke

Leipziger Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburg, Seite 7, 05.06.2007


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