SACHSEN

Neue Panne setzt Buttolo unter Druck

Dresden (J. K.). Die Affäre um kriminelle Netzwerke und Geheimdaten des sächsischen Verfassungsschutzes weitet sich aus. Nachdem Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) vor knapp einer Woche einräumen musste, dass der Verfassungsschutz Ende April 40 Aktenordner mit brisanten Kopien zu kriminellen Netzwerken in Südwest-Sachsen widerrechtlich vernichtet hat, wurde gestern bekannt, dass dies nicht die einzige Daten-Panne war. Nach Informationen der LVZ haben die Verfassungsschützer bereits im Herbst vergangenen Jahres damit begonnen, hochinternes Material zur Organisierten Kriminalität (OK) heimlich zu vernichten. Das verlautete aus Sicherheitskreisen in Dresden.

Buttolo wollte sich gestern nicht zu Details äußern, räumte aber „Missstände“ im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) ein. „Ich will jetzt endgültig wissen, was alles im LfV passiert ist“, sagte er. In den kommenden Tagen erwarte er einen Bericht der Verfassungsschützer dazu. Am Abend schließlich äußerte sich die PKK, sie habe zur Kenntnis nehmen müssen, „dass in drei weiteren Fällen Zweitkopien von Unterlagen vernichtet wurden“. Das Gremium erwartet, dass schonungslos aufgeklärt wird und gegebenenfalls Konsequenzen gezogen werden.

Für zusätzlichen Zündstoff sorgen weitere Ungereimtheiten. So hatten die Verfassungsschützer offenbar auch Probleme mit dem Quellenschutz. Teile der OK-Akten sollen nur unvollständig geschwärzt worden sein (LVZ berichtete). Weiterhin sollen die Erkenntnisse der V-Leute nicht ausreichend geprüft worden sein. Buttolo droht nach der erneuten Akten-Panne in eine nahezu aussichtslose Lage geraten. Vor Tagen hatte die Opposition seinen Rücktritt gefordert. Am Dienstagabend hatte SPD-Landeschef Thomas Jurk damit gedroht, die schwarz-rote Koalition im Falle neuer Pannen platzen zu lassen.

Leipziger Volkszeitung, Titelseite, 28.06.2007


Neue Daten-Panne: Buttolo in akuter Erklärungsnot

Verfassungsschutz soll weitere Akten zur OK-Affäre vernichtet haben

Von JÜRGEN KOCHINKE

Albrecht Buttolo Dresden. Es ist eine Dienstreise zur Unzeit. Während Regierungschef Georg Milbradt (CDU) gerade in China ist, eskaliert die politische Lage in Sachsen. Was sich abzeichnet, ist nichts Geringeres als die Demontage eines seiner wichtigsten Ressortchefs im gesamten schwarz-roten Kabinett: Innenminister Albrecht Buttolo (CDU), Milbradts Garant für das Gelingen der Kreisreform, gerät nach aktuellem Stand in eine nahezu aussichtslose Position – und das, obwohl ihm der Regierungschef vor wenigen Tagen noch das Vertrauen ausgesprochen hatte.

Grund für das Polit-Fiasko ist die Pannenserie im Sicherheitsbereich. Nachdem Buttolo vor knapp einer Woche einräumen musste, dass 40 Aktenordner mit brisanten Kopien zur Korruptionsaffäre im Raum Südost-Sachsen vom Verfassungsschutz Ende April widerrechtlich vernichtet wurden; nachdem sich ebenfalls herausgestellt hatte, dass Originalakten – immerhin Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft Chemnitz und Zwickau zu 14 Fallkomplexen – geschreddert wurden, scheint nun festzustehen, dass dies nicht die einzige Panne im Landesamt war. Vielmehr haben die Verfassungsschützer laut Sicherheitskreisen in Dresden bereits im Herbst vergangenen Jahres damit begonnen, hochinternes Material aus ihren Panzerschränken zu vernichten.

Buttolo selbst erklärte dazu gestern Abend: „Ich habe heute den neuen Verfassungsschutzpräsidenten angewiesen, mir in den nächsten Tagen einen Bericht zu allen möglichen Missständen in der Vergangenheit vorzulegen.“ Er wolle endgültig wissen, „was alles im Landesamt für Verfassungsschutz passiert ist“. Vorher werde er sich nicht zu Details äußern. Keineswegs wolle er sich aus der Verantwortung stehlen. Ein zweiter Fall von Aktenvernichtung im Landesamt wäre ein Politikum allerersten Ranges. So geht es in den Akten um kriminelle Netzwerke, in die hochrangige Vertreter von Justiz, Polizei und Politik verwickelt sein sollen. Im Zentrum steht der Verdacht der Korruption, Kinderprostitution sowie dubiose Immobiliendeals – vor allem in Leipzig. In der vergangenen Woche hatte der Vizepräsident des Verfassungsschutzes, Olaf Vahrenhold, die Vernichtung der ersten 40 Ordner noch als Folge von „Missverständnissen“ und „persönlichem Versagen“ eines einzelnen Mitarbeiters bezeichnet. Nach dem jetzt bekannt gewordenen Fall lässt sich diese Version kaum mehr halten.

Offen ist dabei, ob die Vernichtung im Herbst eine Eigenmächtigkeit des Landesamtes war, oder ob die Verfassungsschützer auf Anweisung agierten. Bereits vor Tagen hatte die Linke als Landtagsopposition Buttolo sowie Justizminister Geert Mackenroth (CDU) zum Rücktritt aufgefordert. „Offenbar existiert nicht nur ein tiefer Sumpf, sondern auch ein Netzwerk der Vertuschung“, sagte der designierte Fraktionschef André Hahn damals. Heftige Kritik kam auch von Grünen und FDP. „Der Innenminister hat seinen Laden nicht im Griff“, hatte der Grüne Johannes Lichdi gesagt, Jürgen Martens (FDP) sprach von einem „unerhörten Skandal“.

Verschärft wird die Lage nun vor allem durch die SPD. Erst am Dienstagabend hatte Landeschef Thomas Jurk nach einer außerordentlichen SPD-Präsidiumssitzung damit gedroht, das Bündnis mit der CDU im Falle neuer Pannen platzen zu lassen. Entsprechend verschnupft reagierte Jurk gestern. „Stimmt das, Herr Buttolo?“, fragte der SPD-Chef, „ich erwarte umgehend Aufklärung“. Dahinter steht die Tatsache, dass Jurk auch mit Blick auf die eigene Basis in Zugzwang gerät. Eben dies könnte nach der neuesten Wendung in der Affäre zu einer akuten Krise der schwarz-roten Koalition führen. Gefragt ist nun nicht zuletzt Milbradt.

Gestern Abend traf sich die hochgeheime Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) zu einer Sondersitzung zum Thema, geladen hatte Buttolo selbst. Für zusätzlichen Zündstoff sorgen dabei weitere Ungereimtheiten im Landesamt. So hatten die Verfassungsschützer offenbar auch Probleme mit dem Quellenschutz. Teile der OK-Akten an die PKK sollen nur unvollständig geschwärzt worden sein (diese Zeitung berichtete). Weiterhin sollen die Erkenntnisse der V-Leute nicht ausreichend gegengeprüft worden sein. Dies aber gilt als Regel für jeden Geheimdienst.

Leipziger Volkszeitung, Seite 5, 28.06.2007


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